Studienreise nach England

Bericht von stud. theol. Esther Herrmann

Wie gelingt es der Church of England, kirchenferne Menschen zu erreichen Welche Konzepte gibt es dafür? Und wie können verschiedene Frömmigkeitsformen und Gottesdienststile in der anglikanischen Kirche vereint werden? Diesen und vielen weiteren Fragen gingen wir, Theologiestudierende und kirchliche Mitarbeitende aus Haupt- und Ehrenamt, auf der Exkursion vom 31.08. bis 09.09.2024 in London nach. 

Die Woche war gefüllt mit einem vielfältigen Programm. Es gab die Möglichkeit, mit John McGinley vom Gregory Center for Church Multiplication oder Alison Milbank, eine Vertreterin der Initiative Save the Parish, über Themen wie Gemeindeentwicklung, Empowerment oder die Bedeutung parochialer Strukturen ins Gespräch zu kommen. Außerdem besuchten wir in London konkrete Projekte, wie Messy Church (Kirche Kunterbunt), die Menschen aller Altersgruppen ansprechen möchte, oder Renerate RISE (Reaching the Isolated Elderly), wo besonders ältere und einsame Menschen im Fokus stehen. Auf einem Tagesauflug nach Oxford beschrieb uns Jo Allen ihre Arbeit in ländlichen Regionen und in Leicester lernten wir durch die Vorstellung verschiedenster Gemeinden ein interkulturell geprägtes kirchliches Leben kennen. 

Zudem war Zeit für gemeinsame Gottesdienstbesuche, Sightseeing und die Eindrücke bei einem Bier oder Cider im Pub zu reflektieren und über eine mögliche Anwendung in unseren eigenen Kontexten zu diskutieren. Bei allen Menschen, die wir trafen, beeindruckte mich ihre Begeisterung für das Evangelium und ihr ehrenamtliches Engagement für ihr Projekt. Ich fand es super spannend, zu sehen, wie Kirche an anderen Orten außerhalb der Kirchgebäude entstehen kann und wie unterschiedliche Gemeinschaften in einer Kirche nebeneinander bestehen können.

Gemeindeentwicklung, LGBTQ-Personen und partizipative Forschung: Eindrücke von der Jahrestagung des Netzwerks „Ecclesiology & Ethnography“

Von Hanna Kauhaus

Im September fand die Jahrestagung des internationalen Netzwerks „Ecclesiology & Ethnography“ an der Universität Durham (UK) statt. Hier geht es um den Austausch zu Forschungsprojekten und -methoden, die sich empirisch auf kirchliche und theologische Themen beziehen. Bei der Tagung treffen sich ca. 100 Forscher*innen aus vielen Ländern und Konfessionen. 

Die Themen und Perspektiven sind entsprechend vielfältig. Einige Beobachtungen zu diesjährigen Schwerpunkten:

  • Gemeindeentwicklung und theologische Ausbildung: Immer wieder beschäftigten sich Untersuchungen mit einzelnen Gemeinden, mit dem Zusammenwirken von Gemeinden und neuen kirchlichen Projekten oder mit strategischen Prozessen von Gemeindeentwicklung. Empirische Einsichten und die wissenschaftliche Begleitung von Praxisprojekten sollen dazu beitragen, dass Kirchen nicht bei gut gemeinten Strategien stehenbleiben, sondern ein immer detaillierteres und ehrlicheres Bild der Wirklichkeit entsteht und die Auswirkungen von bestimmten Entwicklungen realistischer eingeschätzt werden können. Aus verschiedenen Forschungsergebnissen wurden dann auch Empfehlungen für Studium, Vikariat oder Weiterbildung von Pfarrpersonen abgeleitet.
 
  • LGBTQ-Personen und Kirche: Mehrere Vorträge stellten Forschungsergebnisse dazu vor, welche Erfahrungen queere Personen in Gemeinden machen, welche Spannungen sie zwischen unterschiedlichen Zugehörigkeiten erleben und wie Kirche-Sein von ihnen gelebt wird. Dabei ging es um Beispiele aus römisch-katholischen, neocharismatischen und altkatholischen Kontexten in England und den USA.
 
  • Partizipative Forschung und Theological Action Research: Diese Forschungskonzepte versuchen, möglichst eng mit denjenigen Menschen oder Gruppen zusammenzuarbeiten, auf die sich die Forschung ausrichtet. Diese sollen nicht als Forschungsobjekt behandelt werden, sondern sie werden mit ihren Fragen und Interessen aktiv einbezogen. Als Beispiel wurde ein Forschungsprojekt zu Erfahrungen von Pastorinnen baptistischer Gemeinden in England vorgestellt, in dem mit interessierten Pastorinnen gemeinsam erarbeitet wurde, welche Forschungsfragen sie für relevant erachten und wie diese Fragen gemeinsam bearbeitet werden könnten. Die Tagung stellte in einem Panel dieses und andere partizipative Forschungsprojekte vor und diskutierte Chancen und Herausforderungen solcher methodischen Ansätze.

Jahrestagung der International Consultation on Ecclesial Futures in Halle

ICEF Tagung in Halle am CES / MKG

Vom 10. bis 14. Juni 2024 fand in Kooperation mit dem CES die jährliche Konsultation der ICEF (International Consultation on Ecclesial Futures) in Halle statt. Ziel der Jahresreffen ist es, Forschungsergebnisse auszutauschen, ein kritisches Gespräch zu fördern und Anregungen für eine missionale, nachhaltige und kontextsensible Kirchenentwicklung zu erarbeiten und diskutieren. Leitende Fragen der ICEF sind: Was sind die spezifischen Bedingungen unseres je eigenen Kontextes? Wie äußert sich die Mission Gottes in unserem Umfeld? Wo entdecken wir Spuren des Wirkens des Heiligen Geistes und wie entwickelt sich kirchliches Leben in unseren Kontexten? Welche theologischen Fragen ergeben sich daraus und müssen eingehender reflektiert werden? Was können wir von einander lernen? Was lässt sich empirisch erheben und wie ist es theologisch zu deuten?

Dieses Jahr stand das Treffen unter der Überschrift »Christian Empowerment, Secularity and Church Development«. Mit Forscher/innen und Praktiker/innen von vier Kontinenten haben wir intensiv über die Wirklichkeit von Säkularität, die Herausforderungen für Gemeindeentwicklung sowie die Chancen eines christlichen Empowerments nachgedacht. Dabei gab es auch einen intensiven Austausch mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens sowie einer Halleschen Freikirche (Evangeliumsgemeinde). 

Am 12. Juni 24 hat die Consultation zu einem Public Day in die Theologische Fakultät der MLU eingeladen und dort die mit dem Themenkomplex verbunden Fragen mit einer größeren akademisch-kirchlichen Öffentlichkeit diskutiert. (MKG)

CES-Talk mit Prof. Dr. Tobias Faix

CES-Talk mit Tobias Faix

Wie lassen sich theologische Studiengänge im Hinblick auf die Transformationsherausforderungen in Kirche und Gesellschaft neu denken? Welche Rolle spielt dabei eine transdisziplinäre Ausrichtung? Wie kann ein Empowerment von Erhenamtlichen konkret aussehen? Im Rahmen der CES-Talk-Reihe, bei der das CES-Team online mit Menschen aus dem wissenschaftlichen Beirat zusammenkommt, um aktuelle Herausforderungen und  Forschungsprojekte zu diskutieren, standen am 03. Juni 2024 diese und weitere spannende Fragen im Mittelpunkt. Zu Gast war diesmal Prof. Dr. Tobias Faix von der CVJM-Hochschule Kassel. Der nächste CES-Talk findet am 10. Juni 2024 statt, dann mit Landesbischof Dr. Christoph Meyns.

Rückblick: Tagung „Bewertung als Belastung“ (AG Kasuistik) in Kooperation von ZSB und RKL

Foto AG Kasuistik Homepage

Am 4. Und 5. April 2024 fand in Halle die 16. Arbeitstagung der AG Kasuistik in der Lehrer:innenbildung statt. Die von Georg Bucher (CES/RKL) und Hannes König (ZSB) organisierte, interdisziplinäre Tagung widmete sich dem Thema der schulischen Leistungsbewertung und -selektion, sowohl aus einer erziehungswissenschaftlichen als auch aus einer fachdidaktischen – im Speziellen: religionsdidaktischen – Perspektive. Lena Franke (CES/RKL) und Georg Bucher waren mit Workshops zu ihren Forschungsprojekten vertreten. Den ausführlichen Tagungsbericht finden Sie hier auf der Seite der AG Kasuistik.

Kirche in der Säkularität: Vortrag bei der Bischofskonferenz der VELKD

Wie kann Kirche neu gedacht und neu gestaltet werden, wenn sie konsequent als Kirche in einer säkularen Gesellschaft verstanden wird? Wie können internationale und ökumenische Perspektiven dafür hilfreich sein? Zu diesen Fragen referierte Dr. Hanna Kauhaus von der Forschungsstelle Kirchen- und Gemeindetheorie KÖW am 17. März bei der Klausurtagung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und stellte die Projekte der Forschungsstelle vor. Die Bischöfe, darunter auch Gäste aus ost- und nordeuropäischen Ländern, tauschten sich zur inneren Gestaltung von Kirche und zu deren politisch-gesellschaftlichen Rolle aus. Weitere Eindrücke finden Sie hier.

Das Bild zeigt Hanna Kauhaus, wie sie ihren Vortrag zu "Kirche in der Säkularität" bei der Bischofskonferenz der VELKD hält. Sie steht links von der von ihr präsentierten Powerpoint-Präsentation.

Familien gefragt: Kirche sollte alltagstauglich sein

Was wünschen sich Menschen von Kirche? Diese allgemeine Frage spitzt sich zu, sobald man eine bestimmte Zielgruppe in den Blick nimmt. Fragt man Familien, was sie sich wünschen, dann wird – bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Familien – deutlich, dass Kirche für sie dann interessant wird, wenn sie in alltagstauglichen und lebensdienlichen Formen daherkommt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Angebote von den Bedürfnissen der Familie und nicht von den Erfordernissen der Kirchengemeinde her gedacht werden sollten. Wie kann das konkret aussehen? Mit den VikarInnen der Mitteldeutschen Kirche sind wir bei einer Begegnung im Kloster Drübeck diesen Fragen nachgegangen.

Die 13 Frauen und Männer stehen am Anfang ihrer „kirchlichen Laufbahn“ und sind gerade dabei, ihre Vikariatsgemeinden kennenzulernen. Dabei fällt ihnen frappierend ins Auge, dass Familien als konkrete Zielgruppe selten im Blick sind. Ja, es gibt vereinzelte Familiengottesdienste, aber wenig planvolles Bedenken dieser Zielgruppe. Zugleich wird in der Vorstellungsrunde deutlich, dass der Großteil des Vikarskurses sich gerade selbst in der Familienphase mit kleinen Kindern befindet. Sie sind also selbst „ExpertInnen“ zum Thema Familie. Aber auch für diejenigen, die es biographisch gerade nicht selbst betrifft, ist einleuchtend, wie zentral das Thema Familie im Blick auf die Zukunft von Kirche ist – stellt die Familie doch den zentralen Ort für religiöse Sozialisation dar. Wie also kann Kirche so agieren, dass Familien sich ernstgenommen und wohl fühlen?

Aktuelle Studien wie die Württemberger Studie „Familien gefragt“ nennen Faktoren wie Ort und Zeit, die auf die Lebensrhythmen der Familien abgestimmt sein müssen. In aller Regel ist das nicht der Sonntagvormittag, sondern eher der Samstagnachmittag zwischen 15 und 19 Uhr. Gewünscht wird dabei kein starres Format, bei dem Kinder still sitzen müssen und Eltern in die „Aufpasserrolle“ fallen. Vielmehr ist ein offenes, auf Begegnung ausgelegtes Format attraktiv, in dem es verschiedene Angebote für unterschiedliche Bedürfnisse gibt.

Ein solches Format, das von den Bedürfnissen der Familien her denkt, haben wir uns genauer angeschaut: Kirche Kunterbunt.  Vor 20 Jahren hat Lucy Moore dieses Format unter dem Begriff Messy Church in einer anglikanischen Gemeinde „erfunden“. Seither wurde es tausendfach in anderen Gemeinden rund um den Globus ausprobiert und jeweils an den eigenen Kontext angepasst. Die Elemente darin sind nicht neu, es ist eher die Art und Weise und die Beteiligung vieler Menschen, die es zu einer „neuen Form von Kirche machen“, die Familien anspricht – und nicht nur solche, die Kirche bereits kennen.

„Aber ist Kirche Kunterbunt wirklich Kirche?“, fragte eine Vikarin. Das bringt uns ins gemeinsame Nachdenken über unsere Kirchenbilder und die Kriterien, nach denen wir Kirche definieren. Diese Gedanken nehme ich auch wieder mit, wenn ich mich am Abend aus dem Kloster Drübeck wieder auf den Weg mache und sie begleiten mich hinein ins weitere Nachdenken darüber, welchen Fragen wir in unserer Arbeit an der KÖW konkret nachgehen.

Katharina Freudenberg